Novalis
Zueignung
1772 – 1801 aus:
Heinrich von Ofterdingen
I.
Du hast
in mir den edlen Trieb erregt
Tief
ins Gemüt der weiten Welt zu schauen;
Mit
deiner Hand ergriff mich ein Vertrauen,
Das
sicher mich durch alle Stürme trägt.
Mit Ahndungen
hast du das Kind gepflegt,
Und
zogst mit ihm durch fabelhafte Auen;
Hast,
als das Urbild zartgesinnter Frauen,
Des
Jünglings Herz zum höchsten Schwung bewegt.
Was
fesselt mich an irdische Beschwerden?
Ist
nicht mein Herz und Leben ewig Dein?
Und
schirmt mich Deine Liebe nicht auf Erden?
Ich
darf für Dich der edlen Kunst mich weihn;
Denn
Du, Geliebte, willst die Muse werden,
Und
stiller Schutzgeist meiner Dichtung sein.
II.
In
ewigen Verwandlungen begrüßt
Uns des
Gesangs geheime Macht hienieden,
Dort
segnet sie das Land als ew’ger Frieden,
Indes
sie hier als Jugend uns umfließt.
Sie
ist’s, die Licht in unsre Augen gießt,
Die uns
den Sinn für jede Kunst beschieden,
Und die
das Herz der Frohen und der Müden
In
trunkner Andacht wunderbar genießt.
An
ihrem vollen Busen trank ich Leben;
Ich
ward durch sie zu allem, was ich bin,
Und
durfte froh mein Angesicht erheben.
Noch
schlummerte mein allerhöchster Sinn;
Da sah
ich sie als Engel zu mir schweben
Und
flog, erwacht, in ihrem Arm dahin.
Novalis
An
He[rrn August Wilhelm] Schlegel
1772 – 1801
Auch ich bin in Arkadien
geboren;
Auch mir hat ja ein heißes volles Herz,
Die Mutter an der Wiege zugeschworen
Und Maß und Zahl in Freude und in Schmerz.
Sie gab mir immer freundlich
himmelwärts
Zu schaun, wenn selbst die Hoffnung sich verloren;
Und stählte mich mit Frohsinn und mit Scherz;
Auch ich bin in Arkadien geboren!
Komm, reiche mir die
brüderliche Hand!
Zu Brüdern hat uns die Natur erkoren,
Und uns gebar ein mütterliches Land.
Ich habe Dir längst Liebe
zugeschworen,
Gern folgsam meinem bessern Genius.
Gib mir die Hand, und einen Bruderkuß!
Zarte Schwingungen umbeben
leise
Meines Busens junges Saitenspiel,
Und ein höher schlagendes Gefühl
Atmet in mir in so fremder Weise.
Deine Lieder wehn aus fernem
Kreise
Aus der Aftertöne Marktgewühl
Ach! so freundlich, heilig, lieb und kühl
Her zu meines Pfades stillem Gleise.
Mancher Stunde lieh ich Flügel
schon,
Daß zu Dir, der jüngsten Muse Sohn,
Zu Dir, dem Holden, Lieben, sie mich brächte;
Daß ich mich an Deine Brust
gelehnt,
Und an reineren Genuß gewöhnt,
An des Schicksals stillem Neide rächte.
Oft schon hört ich, wenn im
Dichterlande
Ich zu jeder stillen Laube ging,
Welche schirmend vor dem Sonnenbrande
Einen Dichter-Jüngling kühl umfing,
Deine Lieder, und ein goldner
Ring
Knüpft im Traum, den mir die Hoffnung sandte
Und an dessen Lipp' ich schmachtend hing
Freundlich uns in sanfte Lebensbande.
Wäre dieser Traum der Ehrenhold
Einer schönen Feenzeit gewesen,
Da Du mich zu Deinem Freund erlesen;
Ewig wollt ich, meinem
Schicksal hold,
Treue schwören allen guten Wesen
Und von jedem Geistesfehl genesen. –
Auch ich bin in Arkadien
geboren,
Auch mir hat mancher gute Genius
Am Mutterbusen Liebe zugeschworen,
Und manchen süßen, freundlichen Genuß.
Auch ich empfand in Ahndungen
verloren
Das leise Wehn von manchem Geisterkuß,
Und fühlte oft im heiligen Erguß
Mich zu der Sonne reinem Dienst erkoren.
Verzeih wenn mich mein eignes
Herz nicht trügt,
Und mich auf Flügeln stolzer Träume wiegt,
Daß ich so kühn in Eure Reihen trete;
Und fassest Du mich auch so
rein und warm,
Wie ich Dich liebe, mit Dir Arm in Arm,
Um Ewigkeit für unser Bündnis bete. –
1772 – 1801
Lieblich
murmelt meines Lebensquelle
Zwischen Rosenbüschen schmeichelnd hin,
Wenn ich eines Fürsten Liebling bin,
Unbeneidet auf der hohen Stelle;
Und von meiner stolzen
Marmorschwelle
Güte nicht, die Herzenszauberin
Und die Liebe, aller Siegerin
Flieht zu einer Hütte oder Zelle;
Süßer aber schleicht sie sich
davon
Wenn ich unter traurenden Ruinen
Efeugleich geschmiegt an Karolinen
Wehmutlächelnd les im Oberon
Oder bei der milchgefüllten Schale
Bürgers Lieder sing im engen
1772 – 1801
Murmle
stiller, Quellchen, durch den Hain,
Hold durchflochten von der Sonne Schimmer,
Singe deine süßen Lieder immer
Sanft umdämmert von den Frühlingsmai'n.
Philomele ruft Akkorde drein,
Leiser Liebe zärtliches Gewimmer,
Da wo sich das zarte Ästchen krümmer
Neiget zu der Welle Silberschein.
Käme Molly doch hieher
gegangen,
Wo Natur im Hirtenkleide schwebt,
Allgewaltig mir im Busen webt,
Reizvoll würde sie die auch
umfangen,
Und vergessen ließ ein einzger Kuß
Uns vergangnen Kummer und Verdruß
1772 – 1801
In
stiller Treue sieht man gern ihn walten
Nicht wie die Meisten, mag er sinnlos schweifen,
Er wünscht die dargebotne Rechte zu ergreifen
Der bessern Zukunft, und sie fest zu halten.
Reichfarbig wird sich diese
Knosp entfalten,
Das Auge sich für ferne Welten schleifen
Zum Meister wird der treue Lehrling reifen
Und um sich her ein neues Reich gestalten.
Wie fröhlich kann dankbar ein
Freund verkünden
Was seinem Geist sich längst vergnüglich zeigte
Wenn er des Jünglings Wandel still bedachte.
O! möchte jede Treue Treue
finden
Und daß zu dem der Lilienstab sich neigte
Der Lust und Leben kranken Herzen brachte.
1772 – 1801
Es ist ein Meer, von Schiffen
irr durchflogen,
die steuern rastlos nach den
falschen Landen,
die alle suchen und wo alle
stranden
auf schwanker Flut, die jeden
noch betrogen.
Es ist im wüsten Meer ein
Felsenbogen,
an dem die sturmgepeitschten
Wellen branden,
und aller Zorn der Tiefe wird
zuschanden,
die nach dem Himmel zielt mit
trüben Wogen.
und auf em Fels die mildeste
der Frauen
zählt ihre Kinder und der
Schiffe Trümmer,
stillbetend, daß sich rings die
Stürme legen.
Das sind die treuen Augen,
himmelblauen –
mein Schiff versenk ich hinter
mir auf immer,
hier bin ich, Mutter, gib mir
deinen Segen!